Bericht des Vorstandes zur Mitgliederversammlung am 15. November 2017
Seit der letzten Mitgliederversammlung hat das documenta forum drei herausragende Mitglieder verloren.
Karl Oskar Blase
Am 27. Dezember 2016 ist Karl Oskar Blase im Alter von 91 Jahren gestorben. Er war Grafiker, Bildhauer, Maler, Kurator, Professor an der HbK, Werkbund-Mitglied und Art-Direktor der „FORM“.
Selbst Künstler der documenta III und der documenta 8, gestaltete er für die documenta-Ausstellungen 4, 5, 6 und 8 Plakate und Signets, prägte mit seiner Grafik über lange Jahre das Gesicht des Kasseler Staatstheaters und ist der Vater des letzten Logos der Stadt Kassel. Die Stadt Kassel ehrte ihn 2015 mit dem Wappenring.
Dirk Schwarze
Am 15. Juni 2017 starb Dirk Schwarze. Er wurde nur 75 Jahre alt. Seine große Hoffnung, die documenta 14 noch erleben zu können, wurde durch eine schwere Erkrankung zunichte gemacht. Seit 2007 wirkte er zehn Jahre als Vorsitzender des Vorstandes des documenta forums. Bereits als Leiter des Feuilletons der HNA hat er als Journalist und Kunstkritiker nicht nur eine regionale Leserschaft mit seinen profunden Artikeln verwöhnt – er publizierte auch für das ART-Magazin und das Kunstforum und verfasste eine umfangreiche Bibliothek zu vielschichtigen Aspekten der documenta.
Auf seiner Website kann man in einem tausendfachen Schatz an Artikeln stöbern – allein 75 über Joseph Beuys. Seine Offenheit für unterschiedlichste künstlerische Äußerungsformen, seine Neugier, seine sanfte, aber bestimmte Annäherung an Kunstwerke ermöglichten ihm in unnachahmlicher Weise, komplexe Kunst seinem Publikum verständlich nahezubringen. 2012 wurde der vor 40 Jahren aus Düsseldorf zugewanderte Dirk Schwarze vom Kasseler Oberbürgermeister zum Ehren-Kasseläner ernannt.
Dr. Klaus Ostermann
Auch Dr. Klaus Ostermann starb wenige Wochen vor unserem Treffen im Alter von 75 Jahren. Über 20 Jahre hat er mit bemerkenswerter Energie die Haushalts- und Kulturpolitik der Stadt Kassel mitgeprägt. Seine berufliche Ausstattung als Betriebswirt und Arzt hatte ihm sehr unterschiedliche Zugänge zu den viralen Fragen unserer Zeit ermöglicht. Über 18 Jahre hat er als Stadtverordneter für Bündnis 90 / Die Grünen immer wieder Impulse für einen Vorstoß für eine Weiterentwicklung unserer stadtgesellschaftlichen Aktivitäten gesetzt. Seine Initiativen für die „Freie Szene“ waren bei einigen Kolleg*innen ebenso gefürchtet wie sein Engagement für das Louis Spohr-Museum geachtet. Mit seinem – nicht zuletzt auch finanziellen – Engagement für die Realisierung des vielfach ausgezeichneten Werks von Maja Oschmann mit ihrem kongenialen Partner und Oscar-Preisträger Thomas Stellmach „Virtuos virtuell“, seinem Engagement im „Kunsttempel und Literatur e. V.“ erwarb er sich nachhaltige Verdienste für die Lebendigkeit der Kasseler Kulturszene. Sein nachhaltiges Eintreten machte auch die Finanzierung des berühmten Kasseler „Lasermeters“ möglich. Oberbürgermeister Geselle würdigte ihn mit der Kasseler Stadtmedaille.
Wir trauern um den Tod dieser drei für uns so bedeutsamen Menschen, wir gedenken ihrer und sind uns ihrer herausragenden Aktivitäten für das Kulturleben in Kassel bewusst.
Jour fixe und andere Termine
10. Januar
Ins documenta-Jahr starteten wir mit Andrea Linnenkohl, der Assistentin von Adam Szymczyk. Knapp 100 Tage vor der Eröffnung der documenta in Athen vermittelte sie uns vertiefte Einblicke in die Komplexität der Organisation in der griechischen Hauptstadt, in Aktivitäten des documenta-Teams und in den Stand der Ausstellungsplanung.
21. Januar
Exkursion des documenta forums zu Gregor Schneiders Ausstellung WAND VOR WAND in der Bonner Bundeskunsthalle. Deren Direktor Rein Wolfs ließ es sich nicht nehmen, uns an seinen persönlichen Sichtweisen bei seiner Führung teilhaben zu lassen.
14. Februar
Die Direktorin des documenta Archivs, Frau Dr. Birgit Jooss, bereicherte uns um eine Orientierung in der vielschichtigen Diskussion um die Perspektive eines documenta Instituts – wir erörterten nicht nur die Auswahl des geplanten Standortes am Holländischen Platz, sondern auch konzeptionelle Fragen, wie die dem Institut zukünftig zuzumessende Bedeutung, die Positionen der beiden Träger, die Stadt Kassel und das Land Hessen (und auch der Universität) und nicht zuletzt die zukünftige Finanzsituation.
14. März
Unser letzter Jour fixe vor der documenta-Eröffnung in Athen speiste sich aus sehr unterschiedlichen Zutaten: den Erkenntnissen aus der Pressekonferenz der documenta, dem umfangreichen Essay von Peter Matthias Gaede im SZ-Magazin zu vielschichtigen Begegnungen im Umfeld der documenta und nicht zuletzt unseren individuellen und kollektiven Planungen für den Besuch in Athen.
Auch war Raum für die Reflexion des Bonn-Besuchs zur Gregor Schneider Ausstellung.
18. April
Dieser Jour fixe stand sehr markant unter den visuellen Eindrücken der documenta in Athen und den vielen Begegnungen, die in sehr unterschiedlicher Form reflektiert wurden. Die Ausstellungsorte, die Präsentation der Kunstwerke, die Fragen danach, ob und wie die documenta in Athen angekommen sei, standen im Vordergrund. Natürlich warfen diese Erfahrungen auch ein Blitzlicht auf die Erwartungen, die wir mit der documenta in Kassel verbinden.
9. Mai
Neben den zuletzt eher an konzeptionellen Fragen orientierten Diskussionen um das documenta Institut wurde uns von Stadtbaurat Christof Nolda bildhaft in Szene gesetzt, wie sich die Genese der Entscheidungskriterien für den umstrittenen Standort entwickelte.
Die Debatte verlief durchaus kontrovers – insbesondere wurde von einer Reihe von Diskutant*innen eine größere Nähe zum Fridericianum oder zur Kunsthochschule präferiert.
Natürlich fand auch der bereits bei der Berlinale gezeigte Film BEUYS von Andres Veiel großes Interesse – der auch in Kassel am 11. Mai als Vorpremiere gezeigt wurde.
13. Juni
Diesen Jour fixe haben wir gemeinsam mit dem KulturNetz und anderen Kulturgesellschaften in den Kulturbahnhof verlegt, um bei einer Podiumsdiskussion unter der Überschrift „Was erwarten wir von dem neuen Kulturdezernat? – Perspektiven der Kulturpolitik“ die Zukunft des documenta Archivs, des documenta Instituts und der Kasseler Kulturhauptstadtbewerbung in den Blick zu nehmen. So rückte die Kulturpolitik, die kulturelle Stadtentwicklung und auch die Entwicklung der Kulturwirtschaft in den Fokus.
29. Juni
Beerdigung Dirk Schwarze
11. Juli
Den ersten Jour fixe nach Dirk Schwarzes Tod widmeten wir seinem journalistischen Lieblingsthema: der documenta. 14. Wir hatten als Gast Ayse Gülec, Sozialpädagogin und Mitarbeiterin der d14, eingeladen, die uns über die public programs der documenta 14 informierte. Sie unterschieden sich deutlich von früheren Ausstellungen.
5. September
Unser guter Kontakt zu einigen Chorist*innen brachte das documenta forum in die Funktion eines Sponsors für eine Veröffentlichung einer Gruppe von 30 Chorist*innen, die aus ihrer Sicht Erfahrungen und Reflexionen ihrer Arbeit während der 100 Tage publizieren wollten. Ihr Projekt „Dating The Chorus“ das aus zwei Publikationen besteht, stellen die Herausgeber*innen vor mit den Worten: Bei „Dating The Chorus“ handelt es sich um eine Stimmensammlung, eine Sammlung von Konzepten, Ideen und Erfahrungen der Chorist*innen, die durch Ihre Tätigkeit an der diesjährigen documenta entstanden sind. Dabei werden ebenso Fragen des Selbstverständnisses der Kunstvermittlung bei der documenta 14 aufgeworfen, wie solche, die das Verständnis von Kunstvermittlung überhaupt behandeln.“
Das documenta forum unterstützte dieses Projekt ideell und finanziell und startete auch einen Spendenaufruf. Beim Jour fixe faszinierte uns eine ausgesprochen lebendige Präsentation, die zu vielen Nachfragen und Diskussionsbeiträgen führte.
17. September
Der letzte Tag der documenta 14! Was für ein Tag! Die vielschichtigen Attacken teils überregionaler, aber auch gerade lokaler Presse gegenüber der documenta 14 kulminierten wenige Tage vor dem Ende der Ausstellung in Berichten über ein höheres aufscheinenden Defizit der documenta, das Bürgschaften der Gesellschafter Land Hessen und Stadt Kassel nötig machte. Diese Situation deutete an, dass die Finanzausstattung der d14 für beide Ausstellungsorte Athen und Kassel doch nicht hinreichend gewesen sein könnte, wurde aber auch mit personifizierten Angriffen gegenüber dem Künstlerischen Leiter und der Geschäftsführerin verbunden. Jenseits der Frage nach Voraussetzungen, konkreten Budgetierungen und persönlichen Verantwortungen positionierte sich das documenta forum – mit besonderem Engagement: Regina Oesterling – an diesem Tag mit Blumen für ein besonderes Dankeschön an alle Mitarbeiter*innen der d14 für eine in diesem Jahr sogar 163 Tage andauenden „Ausstellung der 100 Tage“. Da kein Verantwortlicher der Stadt Kassel an diesem Abend vor Ort war, wurde unsere Geste noch intensiver und wohltuender zur Kenntnis genommen. Aber die dramatischste No-Action dieses Abends gehörte anderen: Zum ersten Mal seit vielen Jahren gab es am Ende einer documenta keinen Auftritt, in dem der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende mit der Nennung des Datums der nächsten documenta in der Stunde des Abschieds die Vorfreude auf die d15 anregte. Die überregionalen Medien reagierten monatelang sehr irritiert darauf, indem sie dieses Verhalten so interpretierte, als stünde der Termin einer nächsten documenta oder die documenta überhaupt in Frage.
Nicht zuletzt wollen wir aber erinnern an den Offenen Brief, den das documenta forum initiiert und, mit vielen anderen Kulturinstitutionen, an den Aufsichtsrat der documenta gGmbH zur Stabilisierung der documenta geschrieben hat.
10. Oktober
Kein Wunder, dass uns das Echo der documenta 14 auch einige Tage nach Schließung der Pforten des Fridericianums noch beschäftigte. Um über den Tellerrand der lokalen Berichterstattung zur documenta hinauszublicken, gab Volker Schäfer als 2. Vorsitzender
einen Einstieg in das überregionale Presse-Echo. Da die letzten Wochen sehr von der negativen Presse zum Defizit beherrscht wurden, sollte in diesem Teil auch der positiven Berichterstattung Raum gegeben werden.
Im Anschluss daran nahmen wir uns den Raum, um uns über unsere persönlichen Eindrücke auszutauschen. Wie haben wir die documenta in Athen und Kassel – jeweils einzeln und im Vergleich – erlebt? Welche Kunstwerke haben uns besonders beeindruckt? Wie überzeugend erschien uns das Konzept „Von Athen lernen“?
Ausblick:
Bei unserem nächsten Jour fixe am 12. Dezember freuen wir uns schon auf den Besuch von Nora Sternfeld, der documenta-Professorin an der Kasseler Kunsthochschule. Sie wird uns ihre Vita vorstellen, ihre Arbeitsvorhaben beschreiben und damit ihre Ideen für eine vertiefende Verankerung der documenta in Kassel benennen.
Für die beiden Jour fixe-Termine zum Jahresbeginn sind wir in Abstimmungs-Gesprächen mit der neuen Kulturdezernentin für ihren Besuch bei uns.
Volker Schäfer, 2. Vorsitzender