In der Geschichte “A Journey Around My Room” (1794) ist der Autor Xavier de Maistre sechs Wochen in sein Zimmer eingesperrt. Er nutzt seine Zeit, um die Unendlichkeit dieses Innenraums zu erkunden. Er begibt sich dabei auf eine Reise durch sein Schlafzimmer und verfasst einen Bericht über das, was er dort erlebt. Lucas Arruda erwähnt diese Geschichte in einem Interview – auch er lotet in seiner Malerei die Weite unserer Innenwelten aus.
In wenigen Tagen enden die Ausstellungen von Lucas Arruda „Deserto-Modelo“ und Ron Nagle „Euphoric Recall“, die vom 6. Juni bis 8. September 2019 im Fridericianum zu sehen waren. Sie markieren den Programmbeginn des neuen Fridericianum-Direktors Moritz Wesseler. Lucas Arruda der “aktuell am Beginn der internationalen Wahrnehmung steht”, wie es in einer Pressemeldung zu der Ausstellung heißt, hatte bereits Beginn 2017 eine vielbeachtete Ausstellung bei David Zwirner in London. Im Rahmen der Ausstellung gab er in einem Gespräch mit Angeria Rigamonti di Cutò interessante Einblicke in seine Arbeit. Ein paar Aspekte daraus finden Sie in diesem Beitrag zusammengefasst. (Das Gespräch in englischer Sprache finden Sie: HIER)
Lucas Arruda – ein Landschaftsmaler?
Die Ausstellung in Kassel zeigt Gemälde, Lichtinstallationen, Diaprojektionen und einen Film von Arruda. Sehr breiten Raum nehmen jedoch die Darstellungen von Landschaften und Seestücken ein. Ist Arruda also ein traditioneller Landschaftsmaler? Schnell ist man versucht, ihn gar als Impressionisten zu sehen oder in der Tradition der Romantik. Doch Lucas Arruda betrachtet sich selbst nicht als Landschaftsmaler. Zwar sei es üblich geworden seine Arbeit unter dem Aspekt des “Erhabenen” zu betrachten, aber er schränkt ein: Das greife zu kurz, seine Arbeit sei “komplexer als das”.
Zunächst einmal geht es ihm nicht um eine Darstellung der Natur, seine Arbeiten stellen nie einen wirklichen Ort dar. Arruda arbeitet daher auch nicht vor Ort. Ihm sei eine Mischung aus mathematischen und metaphysischen Aspekten wichtig, betont er. Es gehe dabei mehr um die “Idee einer Landschaft und nicht eines realen Ortes, vielleicht gibt es in diesem Sinne eine Ähnlichkeit mit dem späten Turner.” Wichtig ist für seine Malerei der Versuch, eine geistige Dimension, eine Stimmung, ein Gefühl, das im Medium Farbe schwebt, freizulegen. Auf seinem Instagram-Profil findet sich das Bild einer Frau mit dem Rücken zum Meer, der Text dazu lautet: „If we opened people up, we’d find landscapes.“
Wiederholungen
Es mag auf den ersten Blick überraschen, aber mehr als manchen Landschaftsmalern fühlt sich Arruda zum Beispiel Giorgio Morandi verbunden. Der zweite Blick zeigt dann schnell die Nähe der beiden Künstler. Wir finden in beiden Werken nicht nur eine im weiten Sinne ähnliche Farbigkeit, sondern auch eine Beschäftigung mit den immer gleichen “Strukturen”. In den Stillleben Morandis finden sich übrigens auch die Horizontlinien, die für Arruda so kennzeichnend sind.
Zwei weitere Künstler sind für diese Thematik von Bedeutung: Peter Dreher und On Kawara. Für beide Künstler – so unterschiedlich sie sein mögen – ist das Motiv der Wiederholung von großer Bedeutung. On Kawara mit seinen Date Paintings und Peter Dreher mit seiner über 40 Jahre alten Serie eines einzigen Glases. Kein Wunder also, dass es mit beiden Künstlern bereits Gemeinschaftsausstellungen gab.
Ausblick: Rachel Rose
Mit der Präsentation von Lucas Arruda und Ron Nagle setzt Moritz Wesseler ganz eigene künstlerische Schwerpunkte. Ziel ist Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren, denen zum einen in Deutschland institutionell bislang noch keine Plattform geboten wurde, und zum anderen historische Positionen wiederzuentdecken, die lange Zeit keine Sichtbarkeit hatten, obwohl sie für die aktuellen Diskurse eine große Relevanz aufweisen. Auf die Präsentationen von Arruda und Nagle folgt im Oktober 2019 eine umfangreiche Werkschau der 1986 geborenen, mit zeitbasierten Medien und Skulptur arbeitenden Künstlerin Rachel Rose. Wir dürfen uns freuen!
[Jörn Budesheim]