Neue Einblicke in das Werk des weltberühmten Künstlers
[euregioverlag, Kassel]: Er wurde zum Inbegriff der Avantgarde, zog alle in seinen Bann und hinterließ ein Lebenswerk von Weltruhm. Obwohl Joseph Beuys bereits 1986 verstarb, prägt sein Werk in besonderer Verbundenheit die Stadt Kassel bis heute. Am 12. Mai wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden – Grund für den euregioverlag und die Kasseler Sparkasse, den Beuys-Experten Volker Schäfer mit der Herausgabe eines einmaligen Sammelbands über den Künstler zu beauftragen. Namhafte Autoren schildern persönliche Begegnungen und gemeinsame Erfahrungen, beschreiben Werke und analysieren Werte von Joseph Beuys. Sein wichtiges documenta-Werk der „7000 Eichen“ findet in diesem Jubiläumsband besondere Beachtung.
Das Buch ist in der Reihe „Die Region trifft sich, die Region erinnert sich“ der Kasseler Sparkasse im euregioverlag erschienen. „Als Kasseler Sparkasse wollen wir dazu beitragen, dass dieses nachhaltige Kunstwerk vollständig weiterlebt. Dafür übernehmen wir zu Beuys‘ 100. Geburtstag die Patenschaft für die zurzeit fehlenden Eichen – aus respektvoller Verneigung vor dem Künstler und der Stadt, in der wir leben“, sagt Ingo Buchholz, Vorstandsvorsitzender der Kasseler Sparkasse, bei der Pressepräsentation des Bandes.
„Selten war eine Publikation so herausfordernd wie dieser herausragende Sammelband zu Beuys 100. Geburtstag! Er inspirierte viele Menschen, sich mit seiner Ideenwelt auseinanderzusetzen und das weltweit. Und immer strittig bis zuletzt bis zur Herausgabe dieses Buches. Wenn das kein Zufall ist“, so Renate Matthei, Geschäftsführerin des euregioverlages. „Sein Werk wird Raum und Zeit überleben.“
Die reich bebilderten Beiträge des Sammelbandes verfassten echte Beuys-Kenner.
Unter dem Titel „Zeit mit Beuys / Zeit nach Beuys“ nähern sich Rhea Thönges-Stringaris, langjährige Wegbegleiterin von Beuys und Gründerin der Kasseler Free International University (FIU), und Andres Veiel, vielfach gefeierter Regisseur des Films BEUYS, in einem Gespräch den vielen Facetten des Schaffens von Beuys an: den ökologischen und künstlerischen Aktionen, der Weiterentwicklung unserer Demokratie, den wahren Wirtschaftswerten und der tieferen Bedeutung von Kreativität und Kapital.
In ihrem Beitrag „Zeit für Beuys – ein Blick aus dem Fridericianum“ lenkt Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta gGmbH, den Blick auf fundamentale Positionierungen von Beuys. Mit Aussagen wie „Jeder Mensch ist ein Künstler“ setzte er philosophische Impulse, die sich praktisch realisieren ließen. Seine sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und ökologischen Fragestellungen erfahren heute eine wachsende Aktualität. Schormann schlägt einen Bogen zur Kuratorengruppe ruangrupa der documenta 15. Die stehe mit ihrer Überzeugung, dass Menschen mithilfe ihrer Kreativität im Zusammenwirken die Welt verändern können, in gedanklicher Nähe zu Beuys.
Einen ganz anderen und sehr persönlichen biografischen Zugang zu Beuys hat der frühere Direktor des Museums „Hamburger Bahnhof“ in Berlin, Eugen Blume. Bei seiner Suche nach Wahrheit empfand er als junger Bürger der damaligen DDR den als staatenlosen Rebell daherkommenden Beuys als unterstützende Instanz. Die einzige Möglichkeit eines persönlichen Treffens scheiterte jedoch bereits im Ansatz: Eine persönliche Einladungskarte zu Beuys‘ Ausstellung „Multiplizierte Kunst“ in der Ständigen Vertretung der BRD 1981 in Ostberlin wurde ihm nicht von der Post, sondern von dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin mit der Androhung sofortiger fristloser Kündigung überreicht. Eugen Blume beschreibt seine Rezeption der ersten Besuche von Beuys-Ausstellungen in der Zeit der Grenzöffnung und analysiert die Impulse, die Beuys von dem Anthroposophen Rudolf Steiner aufgegriffen hat.
Heiner Georgsdorf überrascht mit seinen „Marginalen Erinnerungen“ an Beuys. Die Episoden persönlicher Begegnungen, seine Einblicke in Dokumente aus Archiven und seine Zeit als Professor an der Kasseler Kunsthochschule sind für ihn ein umfangreicher Fundus für den Schatz seiner Annäherungen an den Künstler. Dabei kommen auch intime Betrachtungen mit eigenen Kunstvorlieben und Schilderungen, wie er selbst einmal aneckte, nicht zu kurz.
Die „nächste Generation“ wagt in Person von Daniel Opper einen Blick auf Beuys. Opper bewegt sich biografisch parallel zur Planung und Pflanzung der „7000 Eichen“. Als Zweijähriger hat er Beuys‘ aufgeschichtete Basaltstelen als Klettergarten erobert. Aus dieser haptischen Erfahrung ist für den späteren Leiter des „Bucerius Lab“ der ZEIT-Stiftung mittlerweile eine frühe, vertiefte Auseinandersetzung mit den Anregungen durch Beuys geworden.
Die „Aktion 7000 Eichen“
Martin Groh ist der Chronist für viele Planungsabläufe, Konzeptionen, Realisierungen und Auseinandersetzungen zur „Aktion 7000 Eichen“. Als Wissenschaftler im documenta Archiv sitzt er unmittelbar an der Quelle vieler Dokumente und Bildzeugnisse. Durch seinen detaillierten Blick lässt er den künstlerischen Ansatz von Beuys, die herkulische Leistung vieler Beteiligter und die Bedeutung des Kunstwerkes für Kassel aufleuchten.
Was unterscheidet Bäumepflanzen vom Bäumepflanzen als Kunstwerk?
Johannes Stüttgen nimmt die Leser mit auf einen Gedankengang, der den Unterschied zwischen dem Pflanzen von Bäumen und dem Bäumepflanzen als Idee eines Kunstwerks herauskristallisiert. Auch Harald Kimpel begibt sich auf eine Reise durch einige „KunstWelten“, um auf einen Unterschied hinzuweisen: den Unterschied zwischen den „7000 Eichen“ und einigen weiteren Kunstwerken, die sich mit ökologischen Aspekten beschäftigen. Den „7000 Eichen“ misst Harald Kimpel orts- und zeitübergreifendes Widerstandspotential bei, dass dauerhaft etwas Besseres an die Stelle von Bedürftigem setzt.
Hans Eichel ist für die „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ ein wichtiger Akteur gewesen. Als damaliger Aufsichtsratsvorsitzender der documenta und als Oberbürgermeister der Stadt Kassel hat er sich zu einem versierten Beuys-Kenner entwickelt. In vielen persönlichen Gesprächen mit Joseph Beuys, mit Amtsleitungen, Medien, und Institutionen musste er zum einen der documenta Unterstützung und freien Raum gewähren, zum anderen den öffentlichen Frieden in der Bürgerschaft bewahren. Das war nicht immer einfach. In seinem Beitrag wandelt er den Untertitel von Beuys‘ Aktion um in „Stadtverwaldung mithilfe der Stadtverwaltung“. Im dialektischen Prozess der Annäherung spricht er von konstruktiver Zusammenarbeit und hebt das wachsende Bewusstsein der Städter für die natürlichen Grundlagen des Lebens hervor.
Beuys in der Welt
Petra Richter nimmt uns mit auf eine anregend-informative Reise nach Süditalien. In ihrem Beitrag berichtet sie von Beuys‘ Ausstellung „La rivoluzione siamo Noi“ (Die Revolution sind wir) in Neapel im Jahre 1971. Auch in Italien warb Beuys dafür, „sich nicht mit Missständen abzufinden, sondern die Welt als eine veränderbare zu denken.“
Paul Coffey, Vize-Dekan einer Kunsthochschule in Chicago, hat 2017 mit einer kleinen Delegation Kassel besucht, um die „7000 Eichen“ in Augenschein zu nehmen und daraufhin beschlossen, in Chicago dem gleichzutun und ebenfalls 7.000 Bäume anzusiedeln. Mittlerweile sind davon bereits mehr als 2.000 Bäume gepflanzt und eine Ausbildungsstätte wurde eingerichtet. Der Bericht aus Chicago schildert das durch Beuys animierte Projekt und eine vom mexikanischen Künstler Pedro Reyes inszenierte Aktion, bei der abgegebene Schusswaffen eingeschmolzen wurden, um daraus Pflanzschaufeln zu fertigen.
„Wäre Beuys mir nicht ein Rätsel. Wäre ich nicht hier.“
Dirk Schwarze war für viele Jahre Chronist, insbesondere zeitgenössischer Kunst. Seine Website verzeichnet rund 2.000 Artikel – allein über Joseph Beuys sind es 75. Zu Beuys‘ Tod schrieb er den Nachruf „Kräfte des Lebens“, in dem er Stationen seines Lebens und seiner Kunst anspricht. Wenige Tage später verfasste er einen zweiten Nachruf mit dem Titel „Das ist nur ein Beginn“ – eine Sequenz aus einem Gespräch zwischen Joseph Beuys und Heiner Bastian, in dem es darum geht, wie weit sich der Mensch noch weiterentwickeln könnte und wie weit er sich weiterentwickeln sollte. Zum 12. Mai 1986, der Tag, an dem Beuys 65 Jahre alt geworden wäre, fügte Schwarze eine weitere Erinnerung „Aus Kunst wird Leben“ hinzu, in der er die auf Dauer angelegte Skulptur „7000 Eichen“ anspricht, mit der Beuys mit seiner Kunst der Stadt Kassel wieder Leben einhaucht. Diese drei Beiträge sind als Reprint ins Buch aufgenommen.