24. April 2024
Bildquelle: ©documenta-archiv-Günther-Becker, Inv.-Nr.: docA_MS_do1_10011670

Werner Haftmann und die documenta – eine Deutschstunde?

Wer sich für die documenta interessiert, dem ist der Name Werner Haftmann natürlich ein Begriff. Er spielte neben Bode eine herausragende Rolle bei den drei ersten documenta-Ausstellungen. Der 1999 verstorbene Kunsthistoriker war später Chef der Neuen Nationalgalerie in Berlin.

Dank der Kunsthistorikerin Julia Friedrich (Museum Ludwig in Köln) und dem Historiker Bernhard Fulda (Cambridge) wurde jetzt öffentlich, dass Haftmann acht Jahre lang, von 1937 bis 1945, NSDAP-Mitglied war. Weitere wichtige Forschungsergebnisse stammen von der Kasseler Kulturwissenschaftlerin Mirl Redmann. Sie hat unter 51 Protagonisten der ersten vier Documenta-Ausstellungen neun weitere ehemalige NSDAP-Mitglieder ausfindig gemacht.

Keine Frage: das wirft ein neues Licht auf den Beginn der documenta Reihe. Der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München) formuliert es pointiert so: „Wir müssen den deutschen Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts noch mal richtig auf die Couch legen.“

„documenta. Geschichte / Kunst / Politik“ (Deutsches Historisches Museum)

Schon das Symposium vom Oktober 2019 im Deutschen Historischen Museum mit dem Titel “documenta. Geschichte / Kunst / Politik” hatte sich kritisch mit den Anfängen der documenta auseinandergesetzt. Dort sprachen neben vielen anderen auch die oben erwähnten Bernhard Fulda und Julia Friedrich. Fulda hatte in der Vergangenheit bereits ausführliche Forschungen über die Beziehung des Künstlers Emil Nolde zum Nationalsozialismus vorgelegt. Julia Friedrich betitelte ihren Vortrag in Berlin so: „Wie die documenta den Deutschen half, die Wunden, die sie anderen zugefügt hatten, für ihre eigene auszugeben. Und gleich zu heilen.“ 

Alle Vorträge der Veranstaltung wurden als Video aufgezeichnet. Diese Dokumente zur documenta finden Sie auf dieser Seite des documenta forums.

„Die dunkle Seite der Kunst“

Natürlich gab es dazu (nicht nur) im deutschen Feuilleton eine sehr spannende und ausführliche Debatte und Berichterstattung. Titel wie „Braun, abstrakt“ (FAZ), „Hüter des falschen Friedens“ (Zeit), „Die dunkle Seite der Kunst“ (Jüdische Allgemeine) zeigen das und sind nur ein paar Beispiele. Aus Kasseler Sicht sind natürlich besonders zwei Interviews des Kunstmagazins Monopol spannend und aufschlussreich: mit der Kasseler Kulturwissenschaftlerin Mirl Redmann einerseits und Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann und documenta-Archiv-Leiter Martin Groh andererseits. 

Mirl Redmann: „deutliches Schweigen“

Mirl Redmann spricht in dem Interview, das am 16.02.2020 veröffentlicht wurde, dabei von einem „deutlichen Schweigen“, manches würde in der verfügbaren Literatur einfach fehlen, zum Beispiel Studien, die sich mit der Kontinuität der NS-Zeit und Documenta beschäftigen. So etwas gibt es nicht, erläutert Redmann gegenüber dem Magazin Monopol. Warum?

„Die Geschichtsschreibung der Documenta konzentriert sich stark auf die Rehabilitierung der vormals „entarteten Kunst“ – und dieser Fokus ist natürlich auch von den Akteuren der ersten Ausstellungen mit gelenkt worden. Es geht zum Beispiel viel um den deutschen Expressionismus und die Abstraktion der Kunst. Aber spätestens seit der Forschung von Walter Grasskamp in den 80er-Jahren ist klar, dass auf der ersten Documenta eine „entschärfte“ Version der Moderne gezeigt wurde. Die Moderne war eben kein eindeutiger Monolith – und mich interessiert, was ausgeschlossen wurde. Politische Kunst wurde auf der D1 ausgeklammert, von Otto Dix wurde zum Beispiel ein Stillleben gezeigt. Jüdische Künstler, die im NS umgebracht wurden, fehlten. Diesen Diskurs um das, was ausgeschlossen wird, gibt es in der Literatur bereits. Hinter den inhaltlichen Entscheidungen stehen jedoch auch Menschen, die es aus bestimmten Gründen so gemacht haben. Man redet viel über das Schweigen in der Nachkriegszeit, aber selbst in dieser Debatte wird das Schweigen über das Konkrete noch weitergeführt. …“ 

Das gesamte Interview mit Mirl Redmann finden Sie hier: https://www.monopol-magazin.de/interview-documenta-nszeit

Sabine Schormann und Martin Groh: Unabhängige Forschung zur documenta begrüßt

Auch Sabine Schormann und Martin Groh wurden vom Magazin Monopol interviewt. Der Text erschien am 03.03.2020. Hier ein kurzer Ausschnitt:

Saskia Trebing: Sie waren beide beim Kongress im Deutschen Historischen Museum in Berlin, auf dem die Documenta als zeitgeschichtliches Phänomen untersucht und auch die NS-Verstrickung der frühen Ausstellungen thematisiert wurde. Was daran war neu für Sie?

Schormann: Wir waren fast vollständig mit unserem Team in Berlin, weil wir mit dem documenta Archiv auch die geplante Ausstellung zur documenta in Berlin vollumfänglich unterstützen. Das Thema hat uns brennend interessiert, und wir begrüßen dazu unabhängige Forschung. Deshalb haben wir die Initiative von DHM-Präsident Raphael Gross sehr befürwortet.

Martin Groh: Für mich war die NSDAP-Mitgliedschaft von Arnold Bodes Co-Kurator Werner Haftmann tatsächlich neu. Ich wusste nur, dass er in den 30er-Jahren Mitglied der Kunstkommission war, also konnte man sich denken, dass da vielleicht noch mehr sein könnte, aber ich habe meinen Fokus nicht darauf gelegt – und viele andere auch nicht. Was außerdem interessant war, ist die Frage, auf welche Ausstellungstypen die erste Documenta sich bezogen hat, also wo sie historisch herkommt. Das geht zurück in die 20er-Jahre und bis zu den Ehrentafeln aus dem Ersten Weltkrieg. Darüber kann man diskutieren, das sind aber interessante Impulse. Wir wissen spätestens seit der Documenta-Jubiläumsausstellung 2005 in Kassel, dass Haftmann einen großen Einfluss auf die Konzeption hatte, aber als Ausstellungsmacher haben wir eben immer vor allem Bode gesehen. Die anderen sind hinter ihm verschwunden, da wird man jetzt genauer hinschauen.

Kritik an „about: documenta“

Auch die Kritik an der Ausstellung about: documenta in der Neuen Galerie wird in dem Interview thematisiert. In der Ausstellung heißt es zum Beispiel an prominenter Stelle, dass die documenta der „kulturelle Neubeginn einer demokratischen Gesellschaft“ sein sollte. Nun zeigt die Debatte jedoch, dass diese Selbstbeschreibung der Ausstellung zweifelhaft ist. Martin Groh dazu am Magazin Monopol: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir auch die Dauerausstellung zwischendrin ändern oder anpassen können. Das wäre so ein Punkt, wo das möglich ist. Ich denke, dass auch die DHM-Ausstellung hier noch neue Erkenntnisse bringen wird.“

Das gesamte Interview finden Sie hier: https://www.monopol-magazin.de/documenta-ns-zeit-aufarbeitung-interview


Bildquelle: ©documenta-archiv-Günther-Becker, Inv.-Nr.: docA_MS_do1_10011670